„Lass das, das gehört sich nicht“ – Warum wir unsere Sexualaufklärung überdenken sollten

Aufklärung, in diesem Kontext die Sexualaufklärung ist essentiell für jeden Menschen egal ob alt, jung, cis, Trans, Homo, Hetero oder A-Sexuell. Wie wir aufgeklärt werden kann weitreichenden Einfluss auf unser Leben und besonders auch auf unsere Beziehung zur Sexualität nehmen. Viele denken, Aufklärung spielt erst in der 8. Klasse im Biologieunterricht eine Rolle. Ich bin der Meinung, dass diese schon viel eher beginnen sollte. Sexuelle Aufklärung sollte dort stattfinden, wo Unklarheiten mit dem eigenen Körper oder dem anderen Geschlecht auftreten. Die Aufklärung in diesem Kontext umfasst nämlich nicht nur die Theorie hinter dem „Rein-Raus-Fertig-Aus“ sondern auch die Lehre vom eigenen Körper, den Geschlechtsorganen und den Veränderungen, die im Laufe unseres Lebens stattfinden, im Kindesalter, der Pubertät, dem Erwachsenenleben und letzten Endes auch während und nach der Menopause. Bereits im Bauch der Mutter sind Babys in der Lage einen Orgasmus zu erleben. Sie sexualisieren diesen jedoch noch nicht sondern empfinden ihn als einen normalen Reiz, wie etwa Niesen oder ein gestillter Juckreiz. Ob das Gefühl als Angenehm oder nicht empfunden wird ist dabei von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wenn Kleinkinder anfangen sich für ihre Geschlechtsteile zu interessieren (Das passiert häufig bei Jungs eher als bei Mädchen, weil sie einfach tagtäglich direkt mit ihrem Penis in Kontakt kommen), sollten die Eltern spätestens mit ihrer Aufklärungsarbeit beginnen, denn die Werte die den Kindern in solchen Situationen vermittelt werden können die Beziehung zu ihrem Körper bereits maßgeblich beeinflussen. So trägt beispielsweise eine abwertende Haltung der Eltern gegenüber der spielerischen Entdeckungstour ihrer Kinder dazu bei, dass die Kleinen denken, es wäre falsch sich mit dieser Stelle ihres Körper zu beschäftigen. Es wird direkt tabuisiert und dabei ist das Kind häufig noch nicht einmal 3 Jahre alt. In diesem Alter haben die Eltern noch so großen Einfluss auf die Ansichten ihrer Kinder, dass sich so eine Haltung stark auf das spätere Körpergefühl auswirken kann. Ich habe bereits häufiger mitbekommen, wie Eltern versucht haben ihre Kinder daran zu hindern mit ihrem Penis oder ihrer Vulva zu spielen oder sie sich genau anzuschauen, weil es den Eltern selbst unangenehm war. Eltern sehen in diesem „unschuldigen“ Verhalten der Kinder bereits eine sexuelle Handlung, obwohl diese von den Kindern noch gar nicht so interpretiert werden kann. Kinder setzen sich gleichermaßen mit jedem ihrer Körperteile auseinander und wollen ihn kennenlernen, ohne Vorurteile oder ekel, ohne sich für etwas zu schämen. Und genau das ist es doch, was wir uns für unsere Kinder und auch für alle Erwachsenen wünschen: Das wir selbstverständlich mit unserem Körper umgehen und ihn wertschätzen. Indem wir den Kindern jedoch vorleben, dass es da Stellen am Körper gibt, die „geheim bleiben“ sollen und an denen etwas Verwerfliches ist, erziehen wir sie zu Menschen, wie man sie heutzutage klassischer Weise leider immer häufiger findet. Und so entstehen Tabuthemen, Sexismus und Sexualisierung und damit auch Probleme, welche sich tendenziell schnell verschlimmern können, weil Kinder und Jugendliche sich nicht mehr trauen diese anzusprechen. Und spätestens hier ist Aufklärung unentbehrlich. Kinder, die aufgeschlossen erzogen werden, haben später auch mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Probleme mit sich Selbst und ihrem Körper und können offener darüber sprechen. Sie können dann außerdem besser kommunizieren was ihnen gefällt und was nicht und mit Sicherheit haben sie später auch ein schöneres Sexualleben. Sexualität ist nichts wovor man seine Kinder beschützen muss, sondern etwas auf das sie einfach angemessen vorbereitet werden sollten, denn dann birgt es automatisch auch weniger Risiken. Aufgeklärte Kinder wissen, wie sie sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen können, wie sie eine Schwangerschaft verhüten können, wie sich ihr Körper während der Pubertät verändert und was normal ist und was nicht. Die Bereitschaft „Nein“ zu sagen ist bei aufgeschlossenen und sexuell gefestigten Menschen deutlich höher, da sie viel mehr Selbstbewusstsein mit sich bringen. Auch Ängste vor dem „ersten Mal“ oder dem ersten Frauenarzt-Besuch können durch eine gezielte und rechtzeitige Aufklärung reduziert werden. Konkret stell ich mir eine gute, ganzheitliche Sexualaufklärung so vor: Im Kleinkindalter dürfen die Kinder selbstverständlich ausprobieren, was ihr Körper so bietet. Das bedeutet Anfassen ist erlaubt. Hygieneregeln darf man dabei gerne schon so früh wie möglich einführen. Man weiß ja nie, was die Kleinen manchmal an den Händen kleben haben, aber übertreiben sollte man es trotzdem nicht – das Immunsystem muss ja schließlich auch irgendwo herkommen. Wenn die Kinder älter werden und Fragen stellen, sollten diese dem Alter entsprechend ehrlich und sensibel beantwortet werden! Kein „Wenn Mama und Papa sich ganz dolle lieb haben… „ oder beliebte Geschichte mit den Blümchen und Bienchen. Kindern können unglaublich abstrakt und fantasiereich denken und solche Märchengeschichten können bei ihnen ganz falsche Vorstellungen wecken. Lieber sollte man behutsam anfangen den Kindern zu zeigen, wofür ihre Geschlechtsteile eigentlich da sind und dass daran nichts Schlimmes ist, sondern etwas, dass sie noch kennen lernen und verstehen werden, wenn sie älter sind. Natürlich sollte man seinem 7-jährigen Kind nicht den Entwicklungsprozess der Embryogenese herbeten, aber Ehrlichkeit im angemessenen Rahmen darf man doch verlangen, oder? In diesem Zusammenhang darf man auch gerne bereits schonmal darauf hinweisen, dass es auch andere Konstellationen außer Mann und Frau gibt und dass diese genauso normal und wichtig sind. Das Wissen, was die Kinder dadurch gewinnen kann ihnen später auch einiges an Selbstfindungskrisen ersparen. Wenn die Kinder dann auf die Pubertät zusteuern sollte man sie vorwarnen, was alles auf sie zukommen wird. Insbesondere bei Mädchen ist es besonders wichtig ihnen zu erklären, dass sie ihre Periode bekommen werden und sie nicht sterben müssen, wenn eines Tages mal Blut aus ihrer Vagina fließt… Genauso sollten auch Jungs darüber aufgeklärt werden, dass sie früher oder später einmal mit Flüssigkeiten aus ihrem Penis konfrontiert werden könnten. Auch wenn sich der Gedanke daran im ersten Moment unangenehm anfühlt, halte ich es für einen wichtigen Teil der Kindererziehung. Zudem sollte dieses unbehagliche Gefühl verschwinden, wenn man nur oft genug darüber spricht. Eine solch offene Erziehung wird bei den Kindern von Anfang an verhindern, dass sie bei diesen und ähnlichen Tabuthemen ein Unbehagen entwickeln. Für mich ein absolut wünschenswerter Nebeneffekt. Während und nach der Pubertät sollte die Sexualaufklärung natürlich intensiver und detailreicher werden. Ich bin generell kein großer Fan davon die 8. Klassen beim Aufklärungsunterricht in Mädchen und Jungs zu trennen. Die Gruppe der Mädels nimmt dann ganz klassisch die weiblichen und die der Jungs die männlichen Geschlechtsorgane unter die Lupe. Das erzeugt ganz automatisch eine Distanz zum anderen Geschlecht. Warum sollte man nicht über jedes Geschlecht gleichermaßen informiert werden? Der Biologieunterricht geht bereits in der 7. Klasse auf komplexe zelluläre Ebene, aber bei der Sexualaufklärung steht nicht einmal der Menstruationszyklus im Lehrplan der Jungs – Blödsinn, wenn ihr mich fragt. Natürlich hat diese Separierung den berechtigten Hintergedanken, dass sich die Schüler in einem gleichgesinnten, intimeren Umfeld leichter trauen „peinliche“ Fragen zu stellen. Ich denke jedoch es gibt diesbezüglich bessere Alternativen. Man kann beispielsweise zu jedem Zeitpunkt eine anonyme Frage-Box auf den Lehrertisch stellen, in die die Schüler, eben anonym und jederzeit ihre Fragen werfen können, welche dann während der nächsten Stunde vor der gesamten Klasse vom Lehrer beantwortet werden können. Somit bekommen die Mädchen und Jungs gleichermaßen einen Einblick über die Probleme des jeweils anderen Geschlechtes und können auf diese Weise sensibilisiert werden. Zu einer ganzheitlichen Sexualaufklärung gehören zudem auch Themen, wie Masturbation, Pornographie, Körperflüssigkeiten, gleichgeschlechtlicher Sex, Geschlechtsidentität, sexuelle Störungen wie Errektionsprobleme und Vaginismus, Verhütung, sexuell-übertragbare Krankheiten, Körperhygiene, Menstruation, Krebsvorsorge, sexuelle Gewalt, Sexismus….. Ich könnte die Liste noch eine Weile weiterführen, aber ich denke diese Beispiele reichen aus, um zu zeigen, dass zwei bis drei Stunden Sexualaufklärung in der 8. Klasse nicht ausreichend sind, um alle Themen abzudecken. An dieser Stelle ist das Bildungssystem, aus meiner Sicht, (leider) noch ausbaufähig. Zum Glück darf jeder selbst entscheiden, wie er seine Kinder erziehen möchte.

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